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«Die vielgepriesene Schweizer Qualität muss auch Ökoqualität sein»

19.10.2022

Reffnet-Experte Julien Boucher ist Spezialist für Kunststoffverschmutzung, Recycling und Ökodesign. Er ist Mitbegründer von Quantis, Environmental Action und Plasteax, Associate Director von Environmental Action und seit 2018 im Vorstand von Reffnet. Im Interview erzählt er, wo er bei den Reffnet.ch-Beratungen ansetzt.

Julien Boucher, Reffnet-Experte und Vorstandsmitglied von Reffnet.ch

Julien Boucher, die Schweiz gilt als Recycling-Weltmeisterin – ist Recycling hierzulande also kalter Kaffee?

Julien Boucher: Sind wir das wirklich? Ich weiss es nicht. Weltweit werden rund 10 Prozent aller Rohstoffe recycelt, in Europa sind es im besten Fall 20 bis 30 Prozent und das betrifft auch nur einige Polymerkategorien. Es bleibt also so oder so enorm viel zu tun. Gerade im Bereich Kunststoff-Recycling sind wir – ausgenommen von PET – auch in der Schweiz erst am Anfang. Hinzu kommt: Nicht alle Probleme, die Verpackungen mit sich bringen, sind durch Recycling lösbar. Ich denke etwa an die Verschmutzung durch Mikroplastik.

Vor allem international ist die Kunststoffverschmutzung ein grosses Thema. Welche Verantwortung haben Schweizer Unternehmen?

Die vielgepriesene Schweizer Qualität muss auch Ökoqualität sein. Wenn ein Unternehmen Produkte aus Kunststoff auf den Markt bringt, sollte es gewährleisten, dass es ein geeignetes System zum Sammeln und Recyceln des Kunststoffes gibt – in jedem Land, in dem das Produkt auf den Markt kommt. Oder aber es arbeitet mit der Regierung bzw. dem Markt zusammen, um eine Lösung zu schaffen, beispielsweise mit einer Pfandgebühr oder einer erweiterten Herstellerverantwortung, wie das etwa beim PET-Recycling in der Schweiz und in anderen Ländern der Fall ist.

Wo können Unternehmen ansetzen, um den Kunststoffeinsatz zu reduzieren?

Sie müssen bereits beim Design ansetzen. Wichtig ist zum Beispiel, dass Kunststoffprodukte nicht zu viele kleine, abnehmbare Teile aufweisen, denn sie gehen während der Verwendung des Produkts einfacher in der Natur verloren. So wäre es beispielsweise sinnvoll, einen Deckel direkt an der Flasche zu befestigen. Ausserdem sollten Produkte aus einem einzigen Rohstoff hergestellt werden. Werden Kunststoffarten nicht gemischt, können sie einfacher gesammelt und rezykliert werden.
Noch effizienter kann sein, gleich das gesamte Geschäftsmodell zu ändern. Ein Beispiel sind die wiederverwendbaren Takeaway-Behälter von reCIRCLE. Ein solcher Mehrwegbehälter ist zwar deutlich «massiver» als eine Einwegverpackung. Durch die Wiederverwendung werden die Kunststoffabfälle aber insgesamt deutlich reduziert, wie ein Reffnet-Projekt mit reCIRCLE gezeigt hat.

In welchen Fällen ist Biokunststoff sinnvoll?

Die Verpackung hängt stark von der Nutzung des Produkts ab. Produkte, die vor allem beim Picknicken oder auf dem Schulhof verwendet werden, landen eher in der Umwelt als solche, die vor allem zu Hause genutzt werden. Deshalb werden Outdoor-Produkte gerne aus kompostierbaren Materialien hergestellt. Für Haushaltsprodukte hingegen ist Rezyklierbarkeit sinnvoller.

Können Sie ein Beispiel aus Ihrer Beratungspraxis nennen?

Aktuell arbeiten wir an einem interessanten Ansatz in der Logistik. Ziel dabei ist, kleine Produkte nicht in grossen Kartons mit viel Füllmaterial zu verschicken. Vielmehr sollen sich die Verpackungen an die Form der Produkte anpassen. In einem anderen Projekt haben wir Hygienemasken aus Baumwolle mit solchen aus Polypropylen verglichen. Es zeigte sich, dass die Einwegmasken aus Kunststoff die Umwelt weniger belasten.

Mit den Hygienemasken sprechen Sie die Medizinbranche an. Hier sind Einwegprodukte weit verbreitet. Gibt es Alternativen?

Hier gilt es, von Fall zu Fall zu entscheiden. Für manche Anwendungen ist die Einmalverwendung interessanter, weil gerade bei schweren Objekten die Sterilisation und der Transport sehr ressourcenintensiv sind. Ist ein Produkt wiederverwendbar, muss die Sterilisation optimiert werden. Wird es nur einmal verwendet, muss bei der Entsorgung angesetzt werden.

Sind Schweizer Unternehmen offen für das Thema Ressourceneffizienz?

Angesichts der aktuellen angespannten Situation machen sich Unternehmen zunehmend Gedanken um die Verfügbarkeit ihrer Ressourcen. Deshalb sind sie sicher eher bereit dazu, an einem Reffnet-Projekt teilzunehmen oder ähnliche Massnahmen umzusetzen.

Lohnt sich dies auch?

Ich bin überzeugt, dass ökologisch effiziente Produkte auch die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen steigern. Die Schweizer Wirtschaft muss sich in diese Richtung entwickeln, wenn sie sich auf die bevorstehende Umweltkrise vorbereiten will.

Was tun Sie persönlich, um Abfall zu vermeiden? Oder produzieren Sie gar keinen Abfall mehr?

Ich produziere noch Abfall, denn die extremen Lösungen sind nicht unbedingt die effizientesten – manche Produkte müssen verpackt werden, damit sie nicht verderben und Food Waste vermieden wird. Ich achte aber darauf, wann immer möglich vor allem lokale, wenig verarbeitete Produkte einzukaufen, die mit wenig Verpackung auskommen.